Videokonferenz: Persönlich, aber nicht privat

Videokonferenz persönlich

Covid-19 hat Videokonferenzen, bei denen die Teilnehmer zu Hause sitzen, zur Normalität gemacht. Damit sind Einblicke in die Privatsphäre unvermeidlich. Doch die Grenze zwischen privatem und beruflichem Leben existiert weiterhin. Sie muss nur neu definiert werden.

Die Ausbreitung der Covid19-Krankheit und die strikten Regelungen zu deren Eindämmung haben die Trennung von Arbeit und Privatleben erschwert. Die Umstellung auf Homeoffice bewirkt, dass wir den Computer mit nach Hause und das Zuhause mit zur Arbeit nehmen. Während Büros und Sitzungsräume meist nach funktionalen Gesichtspunkten ausgerichtet und wenig persönlich sind, wird in einer Videokonferenz, in der alle Teilnehmer aus dem Homeoffice zugeschaltet sind, unvermeidlich auch ein Teil der eigenen vier Wände sichtbar. Bisher hinter institutionellen Routinen, Arbeitskleidung und Schreibtisch gut verborgen, werden nun wesentlich mehr menschlich-individuelle Aspekte des Anderen sichtbar – etwa wenn die Katze oder die Kinder durch das Bild laufen, der Blick aus dem Fenster etwas über die Wohnsituation erzählt oder das Outfit des Kollegen, den wir bisher ausschließlich mit Krawatte kannten, eine unerwartete Seite an ihm zeigt.

Gerade in einer Situation der physischen Distanz ist ein Mehr an Zwischenmenschlichkeit wichtig. Durch die rein funktionale Verwendung der Kommunikationsmittel – man ruft nur an, wenn man etwas Konkretes braucht – fehlt uns das Gemeinschaftsgefühl. Mehr über sein Gegenüber zu wissen, bedeutet, ihn besser verstehen zu können, großzügiger mit seinen Schwächen umzugehen und kooperativer zusammenzuarbeiten. Sich von seiner menschlichen Seite zu zeigen, sein Privatleben nicht krampfhaft zu verbergen – das ist in dieser Situation richtig.

Die berufliche Welt dringt in die Privatsphäre ein

Doch wo ist die Grenze? Fest steht, wer im Homeoffice arbeitet, braucht umso stärker eine Trennung von privatem und beruflichem Leben. Physisch ist das derzeit nicht möglich – die wenigsten haben ein separates Arbeitszimmer in ihrer Wohnung und müssen notgedrungen ihren eigentlich privaten Raum dafür nutzen.

Hier beginnen die Konflikte: Wo wir uns sonst anziehen und an die Wand hängen können, was wir wollen, gibt es plötzlich Erwartungen. Wer mit Kollegen und Vorgesetzten nicht ohnehin auch privat befreundet ist, der fühlt sich durch das Eindringen der beruflichen Welt in seine Privatsphäre exponiert und verletzlich. Menschen, mit denen man einen rein formellen Umgang pflegt, erfahren nun unabsichtlich Details über die persönliche Lebensgestaltung. Das wird zunächst berechtigt als Grenzüberschreitung empfunden. Es ist wichtig, diese Gefühle zu rationalisieren und zu unterscheiden: Privat ist das Gegenteil von geschäftlich, persönlich aber ist alles, was uns als Individuen ausmacht. Häufig gibt es zwischen den beiden Konzepten Überschneidungen, aber längst nicht alles, was uns als Persönlichkeiten ausmacht, hat auch intimen Charakter.

Ob man im beruflichen Kontext im Detail über private Angelegenheiten sprechen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Das bedeutet jedoch nicht, dass man unpersönlich bleiben sollte, denn damit nimmt man sich die Chance auf den Aufbau einer Beziehung. Das Bild an der Wand hinter meinem Arbeitsplatz im Homeoffice sagt meinen Gesprächspartnern etwas über mich, es erleichtert ihnen, mich einzuschätzen und meine Worte richtig zu deuten. Wie ich mit meinem Sohn spreche, der mitten im Gespräch anklopft, macht mich menschlich. Selbst wenn die populäre KI-Funktion des unscharfen Hintergrunds aktiviert ist, ist spürbar, dass die Besprechung in einer privaten Umgebung stattfindet. Das beeinflusst die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, doch es erfordert auch Vorsicht und Feingefühl. Es ist selbstverständlich, sogar noch wichtiger als vorher, dass die Grenze zwischen privatem und beruflichem Leben weiterhin existiert – sie muss nur im Einzelnen neu definiert werden.

 

Wir sollten Menschen sein – nicht Unternehmen, nicht Institution

Egal, welche Herausforderungen in der Geschäftswelt gerade zu bewältigen sind: Als Menschen stehen wir alle vor den gleichen Fragen. In dieser Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen sollten wir Menschen sein – nicht Unternehmen, nicht Institution. Deshalb: zeigen Sie sich – mit Ihrem Gesicht, Ihrer Stimme, Ihrer Haltung und Ihrem Arbeitsplatz – in Ihrem Zuhause. Damit erlauben Sie anderen, das auch zu tun, schaffen eine Atmosphäre der Gleichheit und des Vertrauens und ermöglichen das, was wir jetzt dringender brauchen als alles andere: Zuversicht, Zusammenhalt und den Willen, die Chance in dieser Krise zu nutzen.

Den vollständigen Artikel finden Sie unter diesem Link zum Download. Der Artikel ist im Original erschienen in der kostenpflichtigen Ausgabe der SWZ vom 08.05.2020 und wird von uns mit freundlicher Genehmigung des Verlages hier reproduziert. Sämtliche Rechte sind vorbehalten.

Vigl, C. & Novelli D’Incà, G. (2020, Mai 08). Persönlich, aber nicht privat. Südtiroler Wirtschaftszeitung.